Sonntag, 12. Februar 2012

Tag der Abschiede

Der heutige Tag war bereits auf Abschied vorprogrammiert, weil Ulla und Stefan nach zwei Monaten leider VulPro verlassen wollten, um sich ihrem nächsten Projekt zu widmen. Aber morgens hätte keine ahnen können, dass uns ein doppelter Abschied bevorstehen würde ;-(
Zunächst fuhren Ulla und ich zu einer Schweinefarm, um haufenweise Tiefkühlferkel einzusammeln, die die Farmer uns regelmäßig spenden. Auf der Rückfahrt habe ich mich dann hinters Steuer gesetzt, diesmal über eine halbe Stunde Autofahrt auf der linken Seite, nicht nur Schotterpisten, sondern richtiger Verkehr. Aber ich muss sagen, dass ich mich schnell an den Linksverkehr gewöhnt habe – wenn nur nicht immer der Scheibenwischer statt des Blinkers angehen würde…
Kurz danach haben wir den Ohrengeier mit Augentropfen versorgt, die Spritzen mit Antibiotikum braucht er jetzt nicht mehr und Augentropfen gibt es auch nur noch einmal täglich. Ungeschickterweise habe ich den Guten nicht tief genug an den Beinen gegriffen, so dass seine Krallen relativ locker und zappelig waren. Als ich ihn dann auf dem Boden absetzen wollte, blieb er im ersten Moment nicht nur in meinem Hosenbein hängen, sondern auch in meinem Unterarm… Nächste Schramme mit Bluterguss, aber nicht offen, auch wenn es sich im ersten Moment so angefühlt hatte. Ich muss beim Umgang mit diesen prächtigen Vögeln offenbar noch eine ganze Menge lernen!!! Natürlich können ja auch die Geier nichts dafür, wenn ich mich so tollpatschig anstelle.
Ulla und Stefan sammelten noch schnell eine Kuh auf der nächsten Farm ein, während ich die herrliche Sonne und die wunderbaren Geier genoss. Durch die gute Thermik waren viele wilde Kapgeier unterwegs, die wir auch schon während der ersten Autofahrt bemerkt hatten. Auf Suche nach Futter kreisten plötzlich immer mehr Geier über unserem Center. Wunderschöner, majestätischer Anblick, wenn diese Riesen am Himmel kreisen und immer mehr Artgenossen anlocken. Viele setzten zum Landeanflug im Geier-Restaurant an, wo sich schnell etwa 15 Tiere versammelt hatten. Kaum war die frische Kuh in der Einfangvoliere abgeladen worden, da setzten noch weitere 10 Geier zur Landung an. Vom getarnten Ausguck aus konnte ich sie beobachten, wie sie sich immer weiter der Kuh näherten. Allerdings schienen sie noch etwas skeptisch zu sein, denn sie setzen sich zunächst neben der Einfangvoliere in den Schatten. Nach etwa einer Stunde fingen gerade mal zwei Geier an zu fressen, so dass ich noch einmal zurück zur Rehabilitations-Voliere unseres gestern geretteten Geiers ging. Morgens hatte er noch ganz gut ausgesehen, die Maden waren nicht zurückgekehrt, allerdings waren seine Füße offenbar ganz kalt, was kein gutes Zeichen war. Als ich diesmal bei ihm vorbei schaute, dachte ich im ersten Moment er sei tot ;-( Er lag halb auf dem Rücken, Hals ausgestreckt und Kopf und Schnabel seitlich auf den Boden gelegt. Er atmete zwar noch, aber sehr schwer und stoßartig. Schnell trommelte ich alle zusammen, weil der arme Geier mehr tot als lebendig aussah. Wir drehten ihn auf den Bauch, machten es ihm auf einem Strohbett bequem, beträufelten seinen Kopf gegen die Hitze. Seine Füße hingen reglos herab und zeigten keinerlei Reaktionen. Und während wir noch um ihn herum standen und ihn streichelten, sackte sein Kopf zur Seite weg und er verstarb vor unseren Augen ;-((( Sowas Trauriges habe ich noch nie gesehen! In Kroatien sind damals zwar auch Geier gestorben, aber davon hatte ich nur gehört, es aber nicht genau in dem Moment miterlebt. Was für ein Zufall auch, dass wir ihn noch rechtzeitig entdeckt hatten oder vielleicht hat er auch nur noch auf uns gewartet? Schrecklich, so ein wunderschönes Tier sterben zu sehen. Könnte noch immer losschluchzen, wenn ich daran denke. Wie gut, dass Cody sofort angehoppelt kam, um mich zu trösten, als ich mich neben seine Voliere setzte!!! Sicherlich war es für den jungen Geier das Beste, denn vermutlich hat er noch weitere innere Verletzungen gehabt, von denen wir gar nichts wussten. Und sein Flügel hätte in jedem Fall amputiert werden müssen, er hätte also kaum noch ein richtiges Geierleben führen können. Aber der Moment, wo sein Kopf plötzlich wegsackte, schnürt mir noch jetzt die Kehle zusammen. Ich wusste ja schon vorher, dass hier viele Geier hinkommen und leider auch viele nicht mehr gerettet werden können – aber irgendwie hatte ich gehofft es würde keiner sterben, wenn ich hier bin, geschweige denn neben ihm knie. Auf so einen Moment kann man sich einfach nicht vorbereiten, wenn einem diese Tiere so sehr am Herzen liegen! ;-(
Zum Glück kam sehr schnell Ablenkung, denn in der Zwischenzeit hatten sich offenbar die wilden Geier durchgerungen ihre Schnäbel ins Aas zu hacken. Ein kräftiger Ruck an der Sicherungsleine und er Vorhand vor der Einfangvolieren schnellte zu. Immerhin acht Geier gefangen! Sofort ließen wir alles stehen und liegen und rannten zur Voliere. Die Geierbox als „Behandlungstisch“, einen Ablagetisch und die ganzen Untersuchungsutensilien hatten wir tagsüber bereits zurechtgelegt, so dass wir den Kram nur noch ins Geier-Restaurant schleppen brauchten. Nach und nach wurde immer ein Geier in der Voliere eingefangen und zum Tisch gebracht. Dort hielte einer den Kopf fest, einer die Beine und ein bis zwei Leute die Flügel. Zunächst wurden soweit wie möglich Alter und Geschlecht notiert. Von den gefangenen acht Geiern waren sieben erwachsen, einige davon bestimmt älter als 20 und ein fast erwachsener Geier, sprich ca. 2 bis 5 Jahre alt. Bei den jungen Kapgeiern sind die Federn noch kräftig braun und die Augen schwarz. Später werden die Federn dann immer gräulicher und die Augen bekommen eine teils gelb-beige Farbe. Außerdem wird die Halskrause mit zunehmendem Alter im flauschiger und weißer. Das Geschlecht zu bestimmen ist äußerst schwierig. Heute habe ich gelernt den Geiern von hinten auf den Kopf zu schauen. Weibliche Geier haben eine längere, schmalere Kopfform, während männliche Geier einen breiteren Kopf haben. Allerdings ist diese Geschlechtbestimmung sehr ungenau und müsste mittels Blut- oder Federkielprobe bestätigt werden. Leider sind auch diese Messungen hier in Afrika sehr fragwürdig. Dennoch werden dem Geier etwa fünf Federn an der Brust rausgerupft, wobei man den Kiel nicht berühren sollte, um die Messungen nicht zu verfälschen. Außerdem wird dem Geier Blut aus dem Bein entnommen und sein äußerer Gesamtzustand bewertet. Der wichtigste Schritt ist das Markieren der Geier mit gelben Kunststoffnummern. Diese werden, wie bereits am 08.02.2012 beschrieben, in beide Flügel gestochen, natürlich erst nachdem sofort Einstichstelle als auch Markierung vorher mit Desinfektionsspray besprüht wurden. Dem Geier soll ja schließlich nichts passieren. Außerdem sind diese Kunststoffmarkierungen von Weitem viel besser zu erkennen, als die Metallringe, die sie um die Kralle bekommen. So können wir auch fast täglich Notizen machen, wenn bereits markierte Geier im Center landen. Zu guter Letzt hat sich dann noch jeweils einer von uns mit Geier auf dem Arm wiegen lassen, das eigene Gewicht abgezogen und schon haben wir das Geiergewicht. Und wo der Geier schon so gemütlich auf dem Arm saß, konnte er direkt auf die Wiese getragen und wieder freigelassen werden. Ein schöner Anblick, wie die Geier nach dem ersten Schreck kräftig mit den riesigen Flügeln schlagen, erst ganz dicht überm Boden und kurz vorm Zaun geht’s dann endgültig ab in die Höhe. Manche kreisten sogar weiterhin über dem Center am strahlendblauen Himmel. Traumhaft!!!
In perfekter Teamarbeit arbeiteten wir uns zügig durch die acht Geier durch. Zwei der wilden Geier durfte ich selber einfangen, einen freilassen und unter anderem fleißig Federn ausrupfen. Insgeheim habe ich mir das ja schon immer gewünscht, auch wenn es richtig mies ist. Man muss nämlich richtig kräftig rupfen, um sie rauszubekommen. Aber die Geier waren während der gesamten Prozedur so überfordert, da haben sie davon hoffentlich nicht viel mitbekommen. Sowieso haben sie sehr gut alles über sich ergehen lassen und selber beim schmerzhaften Taggen kaum mit dem Schnabel gezuckt! Tapfere Tiere!!! Und diese ganze Aktion hat sehr gut geholfen nicht weiter über den gestorbenen Geier nachzudenken!
Kurz nach dem Geier-Markieren traten Ulla und Stefan endgültig ihre Weiterreise an. Auch wenn ich sie nur eine Woche kennen lernen durfte, ich kann sehr gut verstehen, warum ganz VulPro sie sehr vermissen wird!!! Alles Gute euch beiden!!

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