Samstag, 11. Februar 2012

Der eine kommt, der andere geht

Heute Morgen, nach der Versorgung des Ohrengeiers und dem Anbringen eines Ringes an Spottys dürres Bein, fand ein ganz besonderer Event bei VulPro statt. Das erste hier im Center geborene Kapgeier-Jungtier wurde vor großem Publikum mit seinem GPS-Sender ausgestattet, bevor es nächste Woche Freitag ausgewildert wird. Das GPS-Gerät wurde netterweise gesponsort und sollte dank Solarmodul etwa fünf Jahre lang die Flugroute unseres kleinen Schützlings verfolgen. Angebracht wird es praktisch wie ein Rucksack: Kordeln rund um die Flügel und Sender auf den Rücken. Alles schön festzurren und möglichst alle Federn zurechtzupfen, damit nichts scheuert. Für den Geier war dies eine ziemlich anstrengende Behandlung, so dass wir ihn mit vereinten Kräften auf dem Tisch festhalten mussten. Einer den Kopf, einer die Füße und ich durfte die Flügel zusammendrücken, damit der Geier seine Spannweite von gut 2,70 m nicht plötzlich entfaltet. Wichtig ist, dass das GPS-Gerät weder die Flügel behindert, noch vorne am Kropf zu eng geschnürt ist. Aber natürlich darf es auch nicht zu locker sein, damit der Geier nicht anfängt es abzuknabbern. Insgesamt wiegt das GPS-Gerät etwa 100 g und kostet gut 2000 €. Wer zufällig eines dieser Geräte übrig hat und dem Center spenden möchte, der möge sich bitte bei mir oder VulPro melden!!! Je mehr Geier mit Sendern ausgestattet werden können, desto bessere Forschungsarbeit kann geleistet werden. Nach dem Befestigen des GPS-Gerätes wurde der Geier in die große Voliere entlassen, wo er nach all der Anstrengung erstmal die Flügel ausbreitete und sich streckte. Hoffentlich gewöhnt er sich gut an sein neues Anhängsel am Rücken! Es war sehr schön mit anzusehen, wie begeistert die etwa 15 Zuschauer waren und wie interessiert sie das Geschehen verfolgt haben. Hoffentlich werden sie ihren Freunden von diesem Projekt und dem wunderschönen Tier erzählen und etwas Werbung machen! Cody war bestens gelaunt und ließ sich durch die Gitterstäbe am hübschen Kopf streicheln ;-) Etwas mulmig war mir zwar schon dabei die Hände durchs Gitter zu stecken, aber er kam ganz süß mit seinem großen Schnabel an und begann meine Hand anzuknabbern. Wirklich süß! Wenn er doch etwas zu fest zuhacken wollte, dann brauchte ich ihm einfach nur kurz den Schnabel zuhalten und er wurde wieder lieb ;-) So einen Geier will ich zu Hause auch!!!
Kaum hatte sich die Runde aufgelöst, bekamen wir die Nachricht, dass ein verletzter Kapgeier gefunden wurde. Wir machten uns sofort auf den Weg und ich konnte während der eineinhalb stündigen Autofahrt weitere Eindrücke dieses großen, schönen Landes gewinnen. Der Geier befand sich im Gitta-Martula Wildlife Rehabilitation Centre in der Provinz Limpopo nahe Thabazimbi. Puh, diese Namen muss ich erstmal selber nachschlagen… Unterwegs fuhren wir Slalom um riesige Schlaglöcher und wichen Pavianen aus, die über die Straße rannten. Lang lebe der Allradantrieb!
Die Fahrt vom Tor bis zum Geier über das Gelände des Centers ähnelte einer Safari, denn der schmale Weg war geprägt von tiefen Fahrrillen, in denen nach weiteren Regenfällen das Wasser stand, so dass wir schön umher schlingerten. Unterwegs trafen wir Impalas und Blessböcke (diese leben übrigens auch hier im Geier-Center), sowie die dort lebenden Löwen, ein Babyzebra, Warzenschweine und anderes Getier. Unser kleiner Sorgengeier, auch ein Jungtier von etwa 5 Monaten, wurde auf einer benachbarten Farm gefunden. Diese informierten das Gitta-Martula Wildlife Rehabilitation Centre, aber dieses Center ist eher auf Säugetiere spezialisiert. Sie haben keine geeigneten Vogelvolieren, daher hätten sie dem Geier nicht zu helfen gewusst. Der Tierarzt kannte aber das Geier-Center, so dass sie uns informieren konnten. Wir wurden auch sogleich von zwei sehr netten Helfern begrüßt, die uns überschwänglich für die weite Fahrt dankten und uns den Geier zeigten. Der Arme war ziemlich apathisch, reagierte kaum auf Bewegungen direkt vor seinen Augen. Er ist offenbar – wie so viele seiner Artgenossen – in eine Stromleitung geflogen und hat sich beim Absturz den Flügel gebrochen. Die offene Wunde, die die gebrochenen Knochen deutlich zeigte, sah ziemlich schlimm und bereits relativ alt aus. Außerdem deutet vieles auf eine Infektion hin, vermutlich auch Osteoporose. Um die nässende Wunde zu trocknen, wurde der Geier mit Babypuder eingestäubt. Fragt sich nur, wie weit der Knochenbefall schon fortgeschritten ist ;-( Armer Krummschnabel!!! Für die Fahrt wurde der Geier in einer großen Transportkiste verfrachtet, auf die Ladefläche geschnallt und wieder eineinhalb Stunden zurück zum Center.
Hier angekommen brauchten wir den Geier kaum festhalten, so reaktionslos war das arme Tier ;-(
Zeit genug ihm die schwachen Krallen zu halten und etwas Trost zu spenden. Wir untersuchten die Wunde genauer und entdeckten ein fieses Gewimmel von Maden. Mit einer langen Pinzette wurden sie alle nach und nach entfernt. Um auch an die tiefsten Viecher zu kommen, kann man sich eines einfachen Tricks bedienen: Einfach Honig auf die Wunde schmieren. Die Maden kommen dann aus allen Richtungen an die Oberfläche gekrochen und können eingesammelt werden. So fies das alles auch klingt und ausschaut, die Maden kamen immerhin die Wunder sehr sauber gehalten! Der Geier wird um eine Flügelamputation wohl nicht herumkommen, aber vielleicht hat er dennoch eine Chance. So traurig es auch ist, eigentlich müsste man sich an dieser Stelle fragen, ob es für das Tier überhaupt das Beste ist, wenn es wieder aufgepäppelt wird. Es handelt sich bei ihm ja um einen sehr jungen Geier, der noch 5 bis 7 Jahre davon entfernt ist selber Nachwuchs zu bekommen. Lohnt es sich also das knappe Geld in teure Operationen zu investieren mit dem Wissen, dass er für immer ein Pflegefall im Center bleiben wird? Er kann nie ausgewildert werden, muss sein Leben lang durchgefüttert werden. Und aufgrund des jungen Alterns kann er lange Zeit keinen Beitrag zum Erhalt seiner Arbeit leisten. Es kann nicht jeder Geier gerettet und ein Pflegefall bleiben, dafür reichen weder Platz noch Geld noch Futter. Sicher, bei erwachsenen Geiern wird bis zum Ende um sein Überleben gekämpft, damit er noch viele Küken zur Welt bringen kann. Aber bei einem Junggeier? Ich kann beide möglichen Entscheidungen voll und ganz nachvollziehen… aber so lange Platz und Geld und Futter noch irgendwie reicht, wird hier wohl kein Geier eingeschläfert werden, wenn es nicht unbedingt sein muss ;-) Ein Blick in die gequälten Geieraugen reicht schon und man möchte ihn einfach nur ins Leben zurückholen!!!
Nach der ersten Behandlung wurde der Geier in eine kleine Rehabilitations-Voliere ausgesetzt, wo er zum Glück direkt anfing zu trinken. Offenbar ist er nämlich gar nicht so schwach, wie er doch seinen hängenden Flügel und die Wunde aussieht. Immer wieder tunkte er seinen Hals in den Wassernapf und schluckte ein paar Tropfen runter. Nur das frische Aas in schnabelgerechten Brocken schien in leider nicht zu reizen. Freiwillig schüttelte er es nur mit dem Schnabel hin und her, um an die Flüssigkeit in dem Futterbehälter zu gelangen. Nach ein paar Minuten wurde der Geier also gepackt und das Fleisch in seinen Schnabel reingestopft. Nützt ja alles nichts, wenn er nicht frisst. Immer wieder wollte er das Fleisch hochwürgen, aber das wurde verhindert, indem sein Hals Richtung Kropf langgezogen und leicht zusammengedrückt wurde. Auf diese Weise konnte das Fressen praktisch in den Kropf geschoben werden. Sah mies aus, dient aber nur seinem Besten. Leider war er durch den ganzen Stress so verstört, dass er kurz darauf einen Großteil des Fressens wieder auswürgte. Der Anblick ist einfach nur traurig und bricht mir fast das Herz. Ich kann es einfach nicht mit ansehen, wenn es einem dieser prächtigen, wunderschönen Vögel so schlecht geht!!! ;-(
Kurze Zeit später gaben wir dem Geier zwei Infusionsspritzen, weil er halb dehydriert ist. Fressen und Wasser hat er in seiner Voliere, vielleicht fängt er ja dann von alleine an, wenn er sich erstmal wieder beruhigt hat. Alles Gute, Kleiner!!!
Während wir den Geier eingesammelt hatten, haben sich offenbar 50 Geier im Geierrestaurant angesammelt, zehn waren sogar in der Einfangvoliere. Tja, schlechtes Timing, damit hätten wir heute kaum rechnen können, weil es zwischendurch wieder leicht regnete und die Sonne sich lange kaum blicken ließ. Aber was solls, ich bin ja noch eine Weile hier, irgendwann wird es mit dem Einfangen noch klappen.
Hehe, außerdem wurden hier noch die Sitzbalken in der Voliere des aggressiven Andenkondors und der beiden Palmgeier ausgetauscht. Trotz drei Mann biss das freche Federvieh um sich, so dass entspanntes Arbeiten offenbar nicht möglich ist. Die Bisswunde, die ein Helfer davongetragen hat, ist nicht ohne. Weiß der Geier, was der Andenkondor für ein Problem hat… ich tippe ja, dass er einfach nur ein Weibchen braucht!
Gleich gibt es ein Abschiedsessen, weil uns Ulla und Stefan leider morgen verlassen werden. Sie waren vor gut zwei Monaten eher zufällig hier im Center gelandet und haben ihre Begeisterung für Geier entdecken können! Das zeigt mir nur wieder, dass wir uns einfach viel mehr mit diesen prächtigen Tieren befassen müssen, um sie zu verstehen, ihren Nutzen zu erkennen und ihre Schönheit zu schätzen lernen!!!

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